"Außerdem studierte er abstruse Bücher, die aus chaldäischen Bibliotheken
gestohlen worden waren, wenn Fafhrd auch aus langer Erfahrung wusste,
dass der Mausling selten über das Vorwort hinauskaum (obwohl er oft die
letzten Kapitel aufrollte und neugierig hineinschaute und beißende Kritik
äußerte)."

Fritz Leiber, Das Spiel des Adepten


Sonntag, 10. April 2016

Trio Pupillo

Wie ich in der Vergangenheit im Zusammenhang mit Mario Bavas Filmen I tre volti della paura / Black Sabbath (1963) und Terrore nello spazio / Planet of the Vampires (1965) schon einmal erwähnt habe, begann Amerikas führende B-Movie-Schmiede der Zeit AIP (American International Pictures) in den frühen 60er Jahren damit, direkt in den italienischen Genrefilm zu investieren.
Doch James H. Nicholson und Samuel Z. Arkoff waren beileibe nicht die einzigen amerikanischen Filmproduzenten, die in einer Kooperation mit Italiens Grindhouse-Studios profitable Chancen witterten. Eine ganze Reihe ihrer kleineren Konkurrenten begannen gleichfalls ihre Fühler in diese Richtung auszustrecken. Zu den dabei zustandegekommenen amerikanisch-italienischen Koproduktionen gehörten auch mindestens zwei der drei Horrorfilme von Massimo Pupillo: 5 tombe per un medium / Terror-Creatures From The GraveIl boia scarlatto / Bloody Pit of Horror und La Vendetta di Lady Morgan / Lady Morgan's Vengeance, die allesamt 1965 in die Kinos gelangten.

Ich habe leider nicht gar zu viele Informationen über den 1929 zur Welt gekommenen Massimo Pupillo finden können. Die deutsche Wikipedia behauptet, dass er während des 2. Weltkriegs als Partisan in den Reihen der französischen Resistance gekämpft habe, und in Louis Pauls Italian Horror Film Directors kann man erfahren: "[He] started his film career as an assistant to the French director Marcel Pagnol on La Femme du Boulanger (1938)."* Das würde zeitlich ganz gut zusammenpassen. Nach dem Ende des Krieges und seiner Rückkehr nach Italien, machte sich Pupillo in den 50er Jahren offenbar einen Namen mit Kurz- und Dokumentarfilmen. Finanziell besonders einträglich kann diese Arbeit allerdings nicht gewesen sein, andernfalls hätte er sich wohl nicht Mitte der 60er in die Halbwelt des Grindhouse - Kinos begeben, wobei er sich das Pseudonym "Max Hunter" zulegte. Bei 5 tombe per un medium überließ er den Regisseurs-Part in den Credits sogar gleich dem Produzenten Ralph Zucker, denn er "didn't care about the film". Ab den 70er Jahren arbeitete Pupillo offenbar hauptsächlich fürs Fernsehen.

Beginnen wir mit dem wahrscheinlich bekanntesten der drei Filme: Il boia scarlatto aka Bloody Pit of Horror aka The Crimson Executioner aka Some Virgins for the Hangman aka Das Schreckensschloss des scharlachroten Henkers aka aka aka ...


Seine relative Bekanntheit verdankt dieser Flick freilich nicht seiner Qualität. Das genaue Gegenteil ist der Fall. Niemand wird leugnen können, dass Bloody Pit of Horror ein unterirdisch mieses Machwerk ist. Doch gerade deshalb genießt der Streifen unter Fans von absurdem Exploitation-Schlock Kultstatus. Was durchaus nachvollziehbar ist, enthält er doch in der Tat einige Szenen, die man gesehen haben muss, um an ihre Existenz glauben zu können.

Versuchen wir kurz das zusammenzufassen, was sich dreisterweise als Plot auszugeben versucht: Der schleimige Verleger [?] Daniel (Alfredo Rizzo) und seine aus dem Ex-Journalisten und Horror-Autor Rick (Walter Bigari), Sekretärin [?] Edith (Luisa Baratto), Fotograf Dermott (Ralph Zucker) und fünf sexy Models bestehende Entourage (ich glaub', da war noch wer, aber was soll's ...) verschaffen sich auf widerrechtliche Weise Zugang zu einem scheinbar verlassenen Schloss, um dort ein paar kinky Coverbilder für Ricks neuesten Reißer zu schießen. Doch die Burg erweist sich als gar nicht so unbewohnt, wie es den Anschein hatte. Vielmehr handelt es sich bei ihr um das Refugium von Muskelmann Travis (Mickey Hargitay), der der verdorbenen Welt den Rücken gekehrt hat, um sich ungestört an der Perfektion seines Körpers erfreuen zu können. Als er in Edith seine Ex wiedererkennt, erlaubt er der Truppe dennoch, ihre Bilder zu knipsen. Leider jedoch führt das "sündige" Treiben den guten Travis schon bald dazu, den letzten Überresten an geistiger Gesundheit Ade zu sagen und die Identität des "Crimson Executioner" anzunehmen, eines sadistischen Massenmörders, der einst der Herr dieses Schlosses war. Und damit beginnt ein munterer Reigen aus perfiden Morden und ausgeklügelten Folterorgien.

Der Film behauptet ganz frech, auf irgendwelchen unspezifizierten Werken de Sades zu basieren, was selbstverständlich absoluter Humbug ist. Und ich glaube, selbst wenn die Folterszenen ein bisschen realistischer rüberkommen würden, wären sie für den Geschmack des Göttlichen Marquis immer noch viel zu zahm gewesen. Schon ein-zwei Seiten von Juliette, Justine oder den 120 Tagen von Sodom beglücken einen mit deutlich mehr abstrusen Perversitäten als die ganzen 87 Minuten von Bloody Pit of Horror. Keine Ahnung, ob das jetzt für oder gegen den Flick spricht, auf jedenfall liegt sein möglicher Reiz nicht im Fetischistischen, sondern im Absurden. Und in dieser Hinsicht hat er einige echte Leckerbissen zu bieten. 

Da wäre zum einen die großartige "Spinnennetz"-Szene, in der wir miterleben dürfen, wie eine der jungen Frauen an ein künstliches Spinnennetz gefessselt hilflos zusehen muss, wie eine äußerst putzig anzuschauende [mechanische?] Riesenspinne langsam auf sie zugewackelt kommt, um sie mit ihrem giftigen Biss ins Jenseits zu befördern. Der gesamte Raum ist außerdem mit einem Geflecht aus Drähten durchzogen, die bei der kleinsten Berührung an den Wänden angebrachte Armbrüste abfeuern, weshalb Held Rick gezwungen ist, im Schneckentempo über den Boden zu robben, wenn er die Damsel in Distress befreien will.
Und dann ist da natürlich Travis' große Rede, in der er sich Edith gegenüber als der wiederauferstandene "Crimson Executioner" zu erkennen gibt. "I was forced to retreat to this castle. Mankind is made up of inferior creatures, spiritually and physically deformed, who would have corrupted the harmony of my perfect body." Jeder Film, der eine solche Dialogzeile enthält, verdient eine gewisse Form von Respekt! Erst recht, wenn man sich vergegenwärtigt, dass der Muskelmann dabei zugleich liebevoll seinen Oberkörper einölt. Überhaupt ist der Ex-Akrobat, Bodybuilder und Ex-Gatte von Jayne Mansfield Mickey Hargitay das echte Highlight des Streifens. Jeder Fan trashiger Filme wird seiner gnadenlos überzogenen Darbietung begeisterten Beifall spenden. Auch wenn die Folterungen selbst nicht wirklich spannend sind, der manisch in seiner Folterkammer herumtollende Travis ist eine echte Augenweide.
Als kleine Kuriosität am Rande sei außerdem noch eine kurze Szene mit einer Wendeltreppe erwähnt, bei der ich augenblicklich an die entsprechende Szene aus Mario Bavas ein Jahr später in die Kinos gelangtem Meisterwerk Operazione paura / Kill, Baby, Kill denken musste. Bizarr ...

Soweit klingt das alles recht nett, nicht wahr? Doch leider bin ich gezwungen, meine Kurzbesprechung auf einer warnenden Note ausklingen zu lassen. Bloody Pit of Horror besitzt ein großes Manko, das er mit so manchem anderen Trash-Kultfilm teilt. Neben seinen grandios absurden Höhepunkten enthält er leider auch mehr als genug unerträglich zähe und langweilige Passagen, die durchzustehen einiges an Geduld und Nervenkraft erfordert. Wir reden gerne von "so bad it's good" - Filmen, doch wenn wir ehrlich sind, findet sich in den meisten von diesen immer noch sehr vieles, was nicht "good bad", sondern "bad bad" ist.

Gewisse Probleme mit dem Pacing hatte ich auch bei 5 tombe per un medium aka Terror-Creatures From The Grave. Davon abgesehen gibt es jedoch kaum etwas, was die beiden Filme gemeinsam hätten.  
Na ja, eins vielleicht doch: Wenn Bloody Pit of Horror sich aus Werbegründen als eine De Sade - Adaption auszugeben versucht, macht Terror-Creatures From The Grave dasselbe mit Edgar Allan Poe. Ein offensichtlicher Versuch, die große Popularität des von AIP produzierten Roger Corman - Poe - Zyklus mit Vincent Price auszunutzen. Zwar kann ich nicht von mir behaupten, alle Stories des großen Meisters des Makabren gelesen zu haben, dennoch bin ich mir ziemlich sicher, das dieser Streifen so gut wie nichts mit dessen Werk zu tun hat. Eine leicht poe'esque Atmosphäre ist ihm allerdings wirklich eigen. Und als zweiter großer Pluspunkt kommt hinzu, dass eine der beiden weiblichen Hauptrollen von niemand anderem gespielt wird, als von der unsterblichen Barbara Steele.


Der Film spielt im frühen 20. Jahrhundert. Advokat Albert Kovac (Walter Brandi) begibt sich zu der abgelegenen Villa von Jeronimus Hauff, nachdem dieser in einem eigentlich an Kovac's momentan leider unabkömmlichen Kollegen Joseph Morgan (Riccardo Garrone) gerichteten Brief um die Anwesenheit eines Anwalts gebeten hat, da er sein Testament aufsetzen lassen wolle. An seinem Ziel anghekommen muss unser Held allerdings erfahren, das der gute Jeronimus bereits seit einem Jahr nicht mehr unter den Lebenden weilt. Von Hauffs Witwe Cleo (Barbara Steele) und deren Stieftochter Camille (Mirella Maravidi) erfährt er, dass der Verstorbene sich mit okkulten Experimenten beschäftigt hat, um Kontakt  mit den Toten aufzunehmen. Was auch erklärt, warum er sich einen etwas morbiden Wohnsitz aussuchte, handelt es sich bei der Villa doch um ein ehemaliges Hospital aus der Pestzeit, in dessen Umgebung man außerdem die zahlreichen Leichen der Opfer des Schwarzen Todes verscharrte. Wie nicht anders zu erwarten, genießt der Ort bei der Landbevölkerung nicht eben den besten Ruf. Nachdem sein Auto den Geist aufgegeben hat {wobei eine unschuldige Eule ihr Leben lassen muss!}, unternimmt der vorerst hier festsitzende Kovac zusammen mit dem netten Landarzt Dr. Nemek (Alfredo Rizzo) und der noch sehr viel netteren Camille einen Abstecher in das nächste Dorf. Doch spätestens nachdem die drei den Apotheker und Bürgermeister tot vorfinden, und unser Held erfährt, dass es schon zuvor zu einer Reihe merkwürdiger Todesfälle gekommen ist, durch die fast alle Zeugen von Jeronimus Hauffs Ableben das Zeitliche gesegnet haben, wird Kovac klar, dass hier sehr merkwürdige Dinge vor sich gehen. Vielleicht ist Camille doch kein Opfer von Halluzinationen, wenn sie immer wieder ihren toten Vater zu sehen glaubt? Und vielleicht waren die okkulistischen Studien des alten Hauff am Ende doch kein bloßer Hokuspokus? Sollte der Gelehrte aus dem Jenseits zurückgekehrt sein,  um an jenen Rache zu üben, die für seinen Tod verantwortlich waren?

Der Film hat einen zwiespältigen Eindruck bei mir hinterlassen.

Ohne Frage zeigt er im Unterschied zu.Bloody Pit of Horror sehr deutlich, dass Massimo Pupillo ein nicht untalentierter Filmemacher gewesen ist. Er ist passagenweise ziemlich atmosphärisch.
Recht faszinierend fand ich z.B. die Szene, in der sich Kovac des Nachts einen weiteren Abschnitt von Hauffs auf Wachswalzen** festgehaltenen Berichtes anhören will, und statt der Stimme des alten Okkultisten plötzlich die eines jungen Mädchens erklingt, das ein ebenso melancholisches wie morbides Volkslied aus der Pestzeit vorträgt. Als der sichtlich beunruhigte Kovac einen Blick aus dem Fenster wirft, erspäht er eine seltsam puppenhaft anmutende Gestalt, die am Rande des Schlossbrunnens sitzt. Er eilt hinunter, findet dort aber bloß einige im Wasser schwimmende Blumen. Im selben Augenblick sieht er ein flackerndes Licht hinter einem der Fenster der Villa. Er geht zurück ins Haus und entdeckt im Salon eine leere Blumenvase, die nur noch eine winzige Spur von Wasser enthält. Die kurz darauf zu ihm stoßende Cleo ist verwirrt. Noch am selben Morgen sei das Gefäß bis zum Rand gefüllt gewesen.
Szenen wie diese besitzen eine angenehm gespenstische Atmosphäre. Gleichfalls recht effektvoll ist z.B. das Motiv der quietschenden Karrenräder, das im Zusammenhang mit den mysteriösen Todesfällen eine wichtige Rolle spielt und zugleich mit den Ereignissen der Pestzeit (Leichenkarren) verknüpft ist. In diesen Fällen zeigt sich Pupillo als ein kompetenter und sogar recht feinfühliger Regisseur, der zudem auf geschickte Weise die Kamera zu führen versteht.
Und natürlich verleiht die bloße Präsenz von Barbara Steele dem Film eine zusätzliche Qualität. Denn auch wenn das Material, mit dem sie hier zu arbeiten gezwungen war, der großen Schauspielerin nur wenig Entfaltungsmöglichkeiten eröffnete, ist ihre bloße Ausstrahlung jene "dry-ice sensuality", von der Kim Newman in Nightmare Movies spricht*** so stark, dass jede Szene, in der sie auftritt, bereits dadurch ein ganz eigenes Flair erhält.

Auf der anderen Seite hatte ich das Gefühl, dass sich der Film streckenweise etwas zieht. Die ganze Kutschtour von Kovac, Camille und Dr. Nemek wirkt recht zäh, auch wenn wir dabei zugegebenermaßen einige für den Plot wichtige Informationen erhalten. Doch unglücklicherweise ist dieser Plot selbst etwas undurchsichtig. Selbst am Ende war ich mir nicht hundertprozentig sicher, wieviel von all dem mörderischen Treiben tatsächlich auf das Konto des aus dem Jenseits zurückgekehrten Jeronimus Hauff ging, und an welchen Stellen Ersatz-Igor Kurt (Luciano Pigozzi) nachgeholfen hatte.
Auch fand ich es leicht irritierend, dass die Handlung immer mal wieder mit etwas "Erotik" aufgepeppt wird.**** Man verstehe mich nicht falsch, für gewöhnlich mag ich den häufig etwas morbiden und fetischistischen Erotizismus, der viele italienische Horrorfilme auszeichnet. Doch im Falle von Terror-Creatures From The Grave passen die entsprechenden Szenen, die übrigens sehr brav gehalten sind, nicht recht zu Ton und Atmosphäre des Films. Gar zu offensichtlich besteht ihre einzige Funktion darin, das Publikum mit etwas nacktem Fleisch zu ködern.

Das große Finale, wenn die "Schreckenskreaturen" dann endlich aus ihren Gräbern geklettert kommen, um Hauffs pestilenzalische Rache über die Menschheit zu bringen, zeigt sehr schön sowohl die Stärken als auch die Schwächen des Films. Einerseits enthält es einige wirklich gute, sogar leicht surreal anmutende Momente, die sich einmal mehr durch einige recht interessante Kamerabewegungen und zudem durch den effektvollen (und symbolträchtigen) Einsatz eines Spiegels auszeichnen. Doch als Ganzes betrachtet wirkt auch diese Sequenz merkwürdig holprig. Und dass wir die "Schreckenskreaturen" {vermutlich aus Kostengründen} nie richtig zu sehen bekommen, ist gleichfalls nicht eben förderlich. Auch hätte ich mir gewünscht, dass die Story ein deutlich nihilistischeres Ende nehmen würde.

Nun, zumindest in dieser Hinsicht sollte mich La Vendetta di Lady Morgan nicht enttäuschen. Und auch sonst entpuppte sich Pupillos dritter Film als das in meinen Augen stärkste Mitglied des Trios. Auch wenn ich mit meiner Ansicht da vermutlich in der Minderheit bin.


Der in einer ähnlichen historischen Epoche wie Terror-Creatures angesiedelte Film erweist sich als eine bizarre Mixtur aus drei im Grunde sehr unterschiedlichen Geschichten.

Er beginnt als eine Art "gothic thriller". Susan (Barbara Nelli), die Nichte und Erbin des schottischen Adeligen Neville Blackhouse, hat sich unsterblich in den französischen Architekten Pierre Brissac (Michel Forain) verliebt, der die Restaurierung der Burg ihres Onkels geleitet hat. Die beiden wollen heiraten, und obwohl es sich dabei um eine Mesalliance handelt, willigt der herzensgute Sir Blackhouse, dem es einzig um das Glück seiner geliebten Nichte geht, problemlos in diese Verbindung ein. Allerdings muss Pierre erst einmal nach Paris zurückkehren, um dort irgendwelche Geschäfte zu regeln, und wird bei der Fahrt über den Kanal von einem geheimnisvollen Angreifer über Bord gestoßen. Zwar überlebt er den Mordanschlag, leidet jedoch von nun an unter Amnesie und verschwindet für die nächste dreiviertel Stunde aus dem Film.
Vom Tod ihres Geliebten überzeugt, willigt Susan schließlich ein, den schon von frühester Kindheit als ihren Gatten ausersehenen Sir Harald Morgan (Paul Muller) zu ehelichen. Sehr schnell wird klar, dass dieser zusammen mit seiner Geliebten Lilian (Erika Blanc) und dem Kammerdiener/Totschläger Roger (Gordon Mitchell) plant, sie erst in den Wahnsinn und schließlich in den Selbstmord zu treiben.
Bei einer solchen Story würde man vielleicht eine gewisse Ambiguität in der Darstellung erwarten. Ist unsere Heldin wirklich dabei, verrückt zu werden, oder ist sie das Opfer heimtückischer Manipulationen? Doch Pupillo lässt uns nicht lange im Zweifel über die wahre Natur der Geschehnisse. Und was vielleicht noch überraschender ist: Der Film hat kaum die Halbzeit überschritten, da stürzt sich Susan tatsächlich von den Zinnen der Burg in den Tod!
Im Sterben ruft sie im Geiste noch einmal nach ihrem geliebten Pierre, der dadurch von seiner Amnesie erlöst wird. Nachdem er wieder ausreichend zu Kräften gekommen ist, macht sich der Gute einige Zeit später nach Schottland auf, wo er auf ein merkwürdig verlassen wirkendes Schloss stößt, in dem die erstaunlich lebendig wirkende Susan auf ihn wartet!
Und damit beginnt die zweite Story: Die in einer Rückblende erzählte Geschichte von Lady Morgans Rache aus dem Jenseits! Der "gothic thriller" hat sich auf einmal in eine Gespenstergeschichte verwandelt!
Doch damit noch nicht genug. In den letzten zehn Minuten betritt der Film urplötzlich leicht vampirisch anmutende Gefilde. Susan hat ihre Peiniger und Mörder zwar sämtlichst auf recht perfide Weise ins Jenseits befördert, doch sind diese nicht umgehend zur Hölle gefahren, sondern haben sich ihrerseits in Gespenster verwandelt, die ihr untotes Dasein freilich nur durch regelmäßige Blutzufuhr aufrecht erhalten können. Und da der im Kerker der Burg gefangen gehaltene Neville Blackhouse in einem denkbar ungünstigen Moment das Leben aushaucht, machen sich die drei allsogleich auf die Jagd nach Pierre.

La Vendetta di Lady Morgan ist ein sehr eigenartiger kleiner Film. Doch auch wenn das schwer vorstellbar erscheinen mag, hat er auf mich sehr viel einheitlicher gewirkt als Terror-Creatures From the Grave. Selbstverständlich nicht im Hinblick auf die Story, aber in Stil und Atmosphäre. Bei allen absurden Wendungen und trotz einiger unfreiwillig komisch wirkender Szenen während der Rachesequenz hinterlässt er keinen vergleichbar holprigen Eindruck, sondern fließt angenehm gleichmäßig einher. Was angesichts des wirren Plots um so erstaunlicher ist. Dabei beweist Pupillo einmal mehr ein Gefühl für Szenerie, Bildkomposition und Kamerabewegungen. Einzelne Szenen aus Terror-Creatures mögen stärker sein, doch als Ganzes betrachtet ist La Vendetta di Lady Morgan der befriedigendere Film. Sicher kein vergessenes Juwel des Horrorkinos, aber doch ein Streifen, der eine größere Bekanntheit verdient hätte, als er momentan genießt. Bizarr und auf seltsame Weise faszinierend.

Massimo Pupillo hat über seinen Ausflug in die Gefilde des Horrorfilms später einmal erzählt:
I started in the horror genre because I wanted to get out of documentaries, I wanted to enter the commercial market. In Italy, when you do a certain type of film, you become labelled and you can't do anything else. I remember one day, a producer called me to do a horror film only because the other producers told him he had to get either Mario Bava or me. When I understood this, I felt dead.
Das macht es vielleicht verständlich, warum er nach La Vendetta di Lady Morgan dem Genre auf immer Ade sagte.

Verglichen mit den Werken eines Mario Bava (La maschera del demonio [1960]; I tre volti della paura [1963]; La frusta e il corpo [1963]; Sei donne per l'assassino [1964]) oder auch eines Riccardo Freda (L'orribile segreto del Dr. Hichcock [1962]; Lo spettro [1963]) war Pupillos Beitrag zum italienischen Horrorfilm der ersten Hälfte der 60er Jahre zweifellos eher bescheiden. Auch wenn Terror-Creatures From The Grave "one of the most popular Italian horror films of the decade abroad"***** gewesen sein soll. Ganz ohne Reiz ist das Trio Pupillo dennoch nicht.



* Louis Paul: Italian Horror Film Directors. S. 307.
** Dank Nigel Kneales & Herbert Wise' süperber TV-Adaption von Susan Hills The Woman in Black (1989) und Terror-Creatures From The Grave wird diese frühe Form der Tonaufnahme für mich nun wohl auf immer mit gespenstischen Schrecken verbunden bleiben ...
***  Kim Newman: Nightmare Movies. A Critical History of the Horror Film, 1968-88. S. 188.
**** Ich habe die italienische Fassung des Films gesehen. Die amerikanische ist in dieser Hinsicht sehr viel prüder, ersetzt dafür jedoch die Exposition durch eine Szene, in der jemand von einem Pferd zu Tode getrampelt wird. Wenn man will, könnte man aus diesem Umstand recht interessante Schlussfolgerungen über das eigenartige Verhältnis der offiziellen amerikanischen Gesellschaftsmoral zu Darstellungen von Sex bzw. Gewalt ziehen ...
***** Robert Curti:  Italian Gothic Horror Films, 1957-1969. S. 150.

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