"Außerdem studierte er abstruse Bücher, die aus chaldäischen Bibliotheken
gestohlen worden waren, wenn Fafhrd auch aus langer Erfahrung wusste,
dass der Mausling selten über das Vorwort hinauskaum (obwohl er oft die
letzten Kapitel aufrollte und neugierig hineinschaute und beißende Kritik
äußerte)."

Fritz Leiber, Das Spiel des Adepten


Montag, 20. Mai 2013

Ein Robin Hood der Marsch?

Der Cushing-Woche erster Teil

Hammer Film Productions und Peter Cushing? Da wird man natürlich sofort an Horror denken müssen. Und das aus gutem Grund, schließlich ist der Schauspieler einer der bekanntesten Vertreter des Brit-Horrors, und das nicht zuletzt aufgrund seiner wiederholten Auftritte als Abraham Van Helsing und Victor Frankenstein in Hammers langlebigen Dracula- und Frankensteinreihen. Doch die Firma produzierte auch einige Filme mit ihrem Star, die genaugenommen nicht zum Genre der Monster, Geister und Vampire gehören. Das bekannteste Beispiel dürfte die Adaption von Arthur Conan Doyles The Hound of the Baskervilles aus dem Jahre 1959 sein, in der Cushing zum ersten {aber nicht zum letzten} Mal in die Rolle von Meisterdetektiv Sherlock Holmes schlüpfte. Zu diesem Zeitpunkt hatte Hammer gerade erst begonnen, mit The Curse of Frankenstein (1957) und Dracula (1958) jenen Stil des "gotischen" Horrors zu prägen, den wir heute mit dem Namen der Produktionsfirma verbinden. Dennoch bemühte man sich, dem Film eine vergleichbare Atmosphäre zu verleihen, und bewarb ihn entsprechend. Man wusste offenbar, was das Publikum sehen wollte. Ähnliches gilt für Captain Clegg (in den USA als Night Creatures bekannt), den Hammer 1962 in die Kinos brachte. Das Plakat verspricht Grusel und Spannung, und der Trailer versucht den Film ganz klar als Horrorflick zu verkaufen:



Tatsächlich jedoch findet sich nur wenig unheimliches und überhaupt nichts übernatürliches in Captain Clegg. Etikettenschwindel? Ja, vielleicht, und um Enttäuschungen zu vermeiden, wäre es sicher ganz gut, wenn man an den Streifen nicht mit der Erwartung herangeht, dass es sich um einen Horrorfilm handelt. Etwas gruseligeres als die im Trailer zu sehenden "Phantome" wird einem hier nämlich nicht begegnen, und bei denen handelt es sich offensichtlich um auf Stoff gemalte Skelette. Im Kontext der Geschichte macht diese dilettantisch anmutende "Tricktechnik" durchaus Sinn, doch eine unheimliche Wirkung erzielt sie ganz sicher nicht.
Um welche Art Film genau handelt es sich also bei Captain Clegg? Auf Russell Thorndikes Roman Doctor Syn basierend, ließe er sich wohl am besten als historischer Abenteuerfilm bezeichnen. Die Handlung ist im ausgehenden 18. Jahrhundert angesiedelt. Der ehemalige Piratenkapitän Clegg (Peter Cushing) hat sich, nachdem er mit viel Glück dem Galgen entgangen ist und seinen eigenen Tod vorgetäuscht hat, in einem kleinen Dorf in der Romney Marsh im Südosten Englands niedergelassen. Dort spielt er die Rolle des Pastors Dr. Blyss*, hat jedoch zugleich die Führung der örtlichen Schmugglerbande übernommen, die französische Weine und Spirituosen an den königlichen Zollbeamten vorbei ins Land schleust. Als eines Tages Captain Collier (Patrick Allen) mit seinen Männern im Dorf auftaucht, um dem Schmuggel ein Ende zu machen, droht damit auch sein Inkognito aufzufliegen, schleppen die Matrosen doch ein ehemaliges Mitglied von Cleggs Mannschaft mit sich. Einen Mulatten, der das Gesicht des Mannes, der ihm einst die Zunge herausschneiden ließ, verständlicherweise nicht vergessen hat.
Nun ist Captain Clegg wohl keines der echten Meisterwerke aus dem "House of Hammer", doch handelt es sich auf jedenfall um ein sehenswertes kleines Filmchen. Regisseur Peter Graham Scott ist vor allem für seine TV-Arbeiten bekannt. Er gehörte zu denjenigen, die in den späten 40er und frühen 50er Jahren einen stärker cineastischen, nicht so sehr von den Traditionen des Theaters geprägten Stil in das junge britische Fernsehen eingeführt hatten. In späteren Jahren drehte er u.a. einige Folgen der Avengers (1965/66), eine Episode von The Prisoner (1967) und vor allem die phantastische Kinderserie Children of the Stones (1977). Sein unbestreitbares Talent lässt sich auch in Captain Clegg erkennen. So versteht er es z.B. sehr geschickt, die Landschaft der Marschen zum Heraufbeschwören einer intensiven Atmosphäre zu nutzen. Vor allem jedoch werden unter seiner Regie Figuren, die sehr leicht als bloße Stereotypen hätten enden können, zu lebendigen Menschen. Freilich konnte Scott auch mit einer recht ansehnlichen Truppe von Schauspielern & Schauspielerinnen arbeiten, zu der neben Cushing und Allen u.a. Michael Ripper, Oliver Reed und Yvonne Romain gehörten.**
Die große Stärke des Films besteht darin, dass es anders als in den meisten Hammer-Streifen keine klare Rollenverteilung zwischen Gut und Böse gibt. Sicher, mit dem Schankmädchen Imogen (Yvonne Romain) und ihrem Geliebten Harry (Oliver Reed), dem Sohn des Squire, besitzen wir zwei eindeutig sympathische Charaktere, während der feige und lüsterne Wirt Mr. Rash (Martin Benson) eine reichlich abstoßende Figur abgibt. Doch der zentrale Konflikt zwischen den Schmugglern und den Männern des Königs lässt sich nicht in so ein einfaches Schema pressen.
Captain Collier zeigt sich in Ausführung seiner Mission als hart und unbarmherzig, aber er ist kein böser Sheriff von Nottingham, sondern einfach ein pflichtbewusster Offizier Seiner Majestät. Ebenso sind seine Matrosen zwar recht raue Gesellen, doch vor allem der Bootsmann zeigt immer wieder auch recht menschliche Züge.
Clegg/Blyss andererseits ist eine schwer zu fassende, facettenreiche Gestalt. Einerseits scheint er tatsächlich bemüht zu sein, seine blutige Vergangenheit hinter sich zu lassen, andererseits steckt in ihm doch immer noch der alte Piratenkapitän – befehlsgewohnt, kaltblütig und sarkastisch. Bis zum Ende bleibt es unmöglich, ihn richtig einzuschätzen. Wenn er seinen Männern einschärft, es dürfe kein Blut vergossen werden, tut er das, weil ihm tatsächlich jede unnötige Gewalt zuwider ist, oder weil ein solches Verhalten einfach klüger ist, wenn es darum geht, Collier und seine Leute möglichst schnell wieder loszuwerden? Das Glück von Imogen und Harry liegt ihm zweifelsohne ehrlich am Herzen und Jeremiah Mipps (Michael Ripper) scheint ein guter Kamerad aus alten Piratentagen zu sein, doch wie sieht es mit dem Rest der Dorfbewohner aus? Macht er sich wirklich etwas aus ihrem Schicksal oder bedient er sich ihrer bloß, um seine eigenen Ziele zu erreichen? Eine der eindrucksvollsten Szenen des Films ist Cleggs Rede in der Kirche, in der er seine wahre Identität enthüllt und erklärt, er sei deshalb Führer der Schmugglerbande geworden, weil er den armen, vom König ausgebeuteten Marschbewohnern helfen und so für seine früheren Verbrechen büßen wollte. Die Szene würde fürchterlich pathetisch wirken, wenn da nicht ein leiser Zweifel bliebe, ob Cleggs Seelenbeichte wirklich ganz ernst gemeint ist. Die unmittelbare Folge seiner Ansprache ist nämlich, dass sich die versammelten Dorfbewohner auf Colliers Matrosen stürzen. Und huscht da nicht wieder dieses ironische Lächeln über Cleggs Gesicht, als er den Tumult nutzt, um zu fliehen? Letztenendes nimmt der alte Pirat das Geheimnis mit ins Grab, ob er tatsächlich eine Art Robin Hood der Marsch war oder bloß ein verdammt schlauer Kerl. Vermutlich beides. Und in eben dieser Ambiguität liegt die besondere Faszination von Captain Clegg aka Night Creatures.

* Da Disney zur selben Zeit an einer eigenen Adaption von Thorndikes Roman arbeitete, beschloss man bei Hammer dem Protagonisten einen anderen Namen zu geben, um möglichen Rechtsstreitigkeiten aus dem Weg zu gehen.
** Die drei hatten übrigens bereits im Jahr zuvor bei Hammers einzigem Werwolffilm The Curse of the Werewolf gemeinsam vor der Kamera gestanden.

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