"Außerdem studierte er abstruse Bücher, die aus chaldäischen Bibliotheken
gestohlen worden waren, wenn Fafhrd auch aus langer Erfahrung wusste,
dass der Mausling selten über das Vorwort hinauskaum (obwohl er oft die
letzten Kapitel aufrollte und neugierig hineinschaute und beißende Kritik
äußerte)."

Fritz Leiber, Das Spiel des Adepten


Donnerstag, 1. März 2012

Jim Hensons Fantasy (II)

The Dark Crystal

Es war 1977 und gerade wurde die zweite Staffel der Muppets Show produziert, da hatte Jim Henson erstmals die Idee, einen tolkienesken Fantasyfilm zu drehen. Aber erst die Begegnung mit Brian Frouds Zeichnungen in Land of Froud brachte den Stein so richtig ins Rollen. Er nahm Kontakt zu dem Zeichner auf und gemeinsam mit Drehbuchschreiber David Odell starteten die beiden das Projekt, an dessen Ende The Dark Crystal stehen sollte. Wie Froud erzählt, bildeten dabei seine Entwürfe stets den Ausgangspunkt, was den ganz eigenen Charakter des Filmes verständlicher macht: "I work intuitively, the images appearing before me and demanding attention, their meanings and voices unclear until much later, when the sketch or painting is done. [...] The scripts and characters developed organically from my sketches and paintings rather than the other way around."
Der Film, der 1982 seine Premiere erlebte, muss allein schon deshalb als außergewöhnlich gelten, da es sich bei ihm um den ersten abendfüllenden Kinofilm ohne menschliche Akteure handelte, in dem ausschließlich Puppen und sogenannte Animatronics agierten. Doch ganz abgesehen von seiner filmgeschichtlichen Bedeutung ist The Dark Crystal bis heute einer der ästhetisch beeindruckendsten ‘klassischen’ Fantasyfilme. Weder unter den Epic Fantasy - Streifen der 80er Jahre (wie Legend oder Willow) noch unter den Hervorbringungen der Peter Jackson - Ära besitzt er an visueller Schönheit seinesgleichen.

Lauschen wir zur Einstimmung der atmosphärischen Musik von Trevor Jones:


Die Story entspricht genau dem, was man sich unter ‘generischer’ High Fantasy vorstellt.
Vor eintausend Jahren wurde ein Splitter aus dem Dunklen Kristall geschlagen und zwei bis dahin unbekannte Völker erschienen auf der Welt: Die grausamen Skeksis, die seitdem von einer düsteren Festung aus über das Land herrschen, und die sanftmütigen Mystics, die in einem abgelegenen Tal ihr friedvolles Dasein führen. Doch es existiert eine Prophezeiung, derzufolge ein Vertreter des Volkes der Gelflings während einer Großen Konjunktion, wenn die drei Sonnen der Welt zu einer zu verschmelzen scheinen, den verlorenen Splitter des Kristalls wieder einfügen und so die Tyrannei der Skeksis beenden wird. Der Film erzählt die Geschichte des Auserwählten Jen und seiner Queste, an deren Ende die Befreiung der Welt vom Bösen steht.
An sich habe ich massive Probleme mit Geschichten, die Joseph Campbells monomythischem Klischee folgen.* Dennoch halte ich The Dark Crystal für einen wirklich guten Film. Dafür gibt es vor allem zwei Gründe.

Zum einen entführt er uns in einen Kosmos, der in seiner bizarren Fremdartigkeit tatsächlich phantastisch wirkt und zugleich von großer poetischer Schönheit ist – etwas, was nur wenige Fantasyfilme schaffen.
Es war Hensons erklärtes Ziel, eine möglichst unirdische Welt zu erschaffen, und Brian Froud sollte sich bei seinen Entwürfen ausdrücklich nicht an realen Vorbildern orientieren. Der Zeichner erzählte später: "I was responsible for the conception of an entire world, a world that had never been seen before. I had to design everything. Not only the general look of the world – from skies to the landscapes – but down to the smallest details which included things like knives and forks, pots and pans, the everyday minutiae details of the creatures that lived in this world." Ein schönes Beispiel für Frouds Leistung und zugleich einer der visuellen Höhepunkte des Filmes ist die Behausung Aughras:
  

Die Detailfülle von The Dark Crystal besitzt keinerlei Ähnlichkeit mit dem pedantischen Pseudorealismus von Jacksons Lord of the Rings oder dem angeberischen und nervtötenden CGI - Overkill der Star Wars - Prequels. Man spürt, dass sie einer überbordenden und exzentrischen Fantasie entsprungen ist, und dass die Absicht ihrer Schöpfer nicht darin bestanden hat, die Zuschauer zu beeindrucken, sondern zu bezaubern.
Diese ganze phantastistische Welt besitzt zudem eine sinnliche Qualität, womit ich nicht sagen will, dass sie real wirken würde. Bei aller für die damalige Zeit atemberaubenden Technik ist und bleibt The Dark Crystal ein Puppenfilm. Und ich glaube eben darin besteht eine seiner großen Stärken. Ich denke, dass man die Kreationen von Henson und seinem Team nicht derselben Kategorie zuordnen darf wie Ray Harryhausens unvergessene Stop Motion - Kreaturen oder die CGIs unserer heutigen Computermagier. Betrachtet man sie lediglich als ‘special effects’, so könnte man sehr schnell zu dem Urteil gelangen, sie seien veraltet und deswegen entweder völlig uninteressant oder nur noch von nostalgischem Wert. Ich glaube jedoch, dass man dann eine ihrer wesentlichen Eigenschaften übersehen würde. Es stimmt, dass Jim Henson bei The Dark Crystal auf einen größeren ‘Realismus’ abzielte, als etwa bei den Muppets, und die Figuren nur unter großen Vorbehalten als ‘Puppen’ bezeichnete: „[M]y feeling about puppetry relates to stylization, simplicity, boiling down to – it's a wonderful form and I really love it. But with The Dark Crystal, instead of puppetry we're trying to go toward a sense of realism - toward a reality of creatures that are actually alive and we're mixing up puppetry and all kinds of other techniques. It's into the same bag as E.T. and Yoda, wherein you're trying to create something that people will actually believe, but it's not so much a symbol of the thing, but you're trying to do the thing itself." Doch was Henson hier beschreibt ist letztlich nur der Unterschied zwischen zwei Stilformen des Puppenspiels, wie Brian Froud ganz richtig bemerkt hat: "(He) was, I think, looking for something different to the style he had been working in and it's interesting to discover how different it was. Whereas the Muppets are very simple bold shapes, what I designed was very complex and complicated." Wendy Frouds** fein gearbeitete Gelflinge besitzen nicht den schlichten, stilisierten Charakter von Kermit, Miss Piggy oder den Fraggles, aber sie sind dennoch Puppen.

Ein Vergleich mit den heute omnipräsenten CGIs verdeutlicht, warum ich so sehr auf diesem Punkt insistiere. Die Schöpfer computergenerierter Figuren setzen ihren ganzen Ehrgeiz darein, die Realität möglichst perfekt zu imitieren, selbst wenn es sich bei ihren Kreationen um Wesen handelt, die es in Wirklichkeit überhaupt nicht gibt. Doch oft genug wirken die CGI-Figuren zu steril, zu sauber, zu ‘perfekt’. Ein besonders extremes Beispiel dafür sind die fürchterlichen Star Wars - Prequels, aber man kann das auch in den Massenszenen des deutlich besseren Lord of the Rings beobachten. Im Betrachter entsteht dabei häufig ein Gefühl der Enttäuschung, das sich bis zum Ärger steigern kann, so als habe man ihn betrügen wollen: "Habt ihr wirklich geglaubt, ihr könntet mir Computerbildchen als lebendige Wesen verkaufen?!" Bei einer Puppe besteht von vornherein nicht die Gefahr, in die Falle des Scheinnaturalismus zu tappen. Sie mag noch so detailliert und kompliziert gearbeitet sein, bei ihrem Anblick hat man dennoch nie das Gefühl, sie wolle vorgeben, etwas zu sein, was sie nicht ist. Was keineswegs bedeutet, dass sie deshalb weniger lebendig wirken müsste. Auch Cartoons wirken ja lebendig, obwohl keine Ente der Welt so aussieht wie Daffy Duck. Glaubwürdigkeit und Naturalismus sind keine austauschbaren Begriffe. Einer der großen Vorteile von Puppen gegenüber CGIs ist ihre Materialität, womit wir wieder bei der sinnlichen Qualität von The Dark Crystal wären. Um noch einmal Brian Froud zu zitieren: "The Dark Crystal was touted as a special effects film which it wasn't – it was all live action, shot in real time, with the creatures performing, which is how I designed them." Selbst da, wo eine Puppe tatsächlich als ein ‘special effect’ eingesetzt wird, erweist sich ihre Materialität nicht selten als ein Vorteil gegenüber den modernen CGIs. Man stelle nur einmal den ‘echten’ Yoda, der ja der Werkstatt Jim Hensons entstammte, neben den Yoda der Prequels. Der Hauptgrund, warum der eine zu faszinieren vermag, während der andere bloß lächerlich wirkt, liegt natürlich in George Lucas’ hirnverbrannter Idee, den winzigen, alten Weisen aus The Empire Strikes Back in eine herumhüpfende, lichtschwertschwingende Witzfigur zu verwandeln. Aber diese Cartoonisierung Yodas wäre ohne die Dematerialisierung der Figur durch die CGI-Technik nicht möglich gewesen.***
Um nicht als unheilbarer Nostalgiker dazustehen, möchte ich betonen, dass ich nicht grundsätzlich etwas gegen CGIs habe, obwohl ich in der Tat der Meinung bin, dass sie in vielen Fällen der Denkfaulheit von Regisseuren Vorschub leisten. Aber nichts desto trotz mochte Gollum aus Lord of the Rings oder Caesar aus Rise of the Planets of the Ape. Auch ist selbstverständlich niemand verpflichtet, The Dark Crystal zu mögen, nur sollte das Argument dafür bitte nicht die ‘verstaubte Tricktechnik’ sein. Abgesehen davon, dass eine solche Herangehensweise dem Charakter des Filmes als eines Abkömmlings des Puppenspiels nicht gerecht wird, verrät sie auch den fatalerweise recht weit verbreiteten Irrglauben, die Qualität eines Filmes sei in irgendeiner Weise von der Perfektion der ‘special effects’ abhängig. Ein simpler Vergleich zwischen dem Cooper/Schoedsack - King Kong von 1933 und Peter Jacksons Remake von 2005 demonstriert anschaulich, dass dem nicht so ist.



Für einen Film von Jim Henson und Frank Oz ist The Dark Crystal ziemlich düster, Tod und Gewalt sind zentrale Themen. Und auch wenn die Kreationen von Brian und Wendy Froud oft einen präraffaelitischen Touch besitzen, hat die Schönheit des Filmes nichts mit süßlichem Elfenkitsch zu tun. Die grausamen Skeksis gehören zu den eindrucksvollsten Kreaturen, die ihn bevölkern. Wie wir in dieser Szene noch erleben können, sollten sie ursprünglich in einer eigens von dem Linguisten Alan Garner entwickelten Sprache sprechen. Produzent Gary Kurtz entschied sich schließlich gegen diese Idee, da er glaubte, die Szenen würden das Publikum unnötig irritieren. Eine verständliche und dennoch bedauerliche Entscheidung, wäre die Fremdartigkeit der Skeksis auf diese Weise doch noch eindringlicher hervorgehoben worden.
Andererseits scheint mir Hensons damalige Argumentation gleichfalls problematisch: "My whole approach to this film is visual. I wanted as little dialogue as possible because I believe the story is stronger that way. Dialogue becomes a crutch." Zweifelsohne liegt die große Stärke von The Dark Crystal in den visuellen Eindrücken und nicht im Dialog, und natürlich erzählen die besten Filme ihre Geschichte vornehmlich in Bildern, nicht in Worten. Doch die oftmals banalen Dialoge verweisen auch auf die Schwäche der Story, die bei Lichte betrachtet halt nicht viel mehr ist, als der x-te Aufguss der guten alten Helden-Queste, dem einige Elemente Hippie-Esoterik beigemischt wurden:
Die guten Mystics sind sanftmütige ‘Naturmagier’, und das erste, was wir von ihnen zu sehen bekommen, ist ein Mystic, der eine Art Mandala in den Sand zeichnet. Auch erwartet uns am Ende statt des genreüblichen Triumphes über das Böse eine pseudo-taoistische ‘Vereinigung der Gegensätze’.



Trotz meiner heftigen Abneigung gegen alle Varianten des romantisch verklärten ‘weisen Lamas’ oder ‘naturverbundenen Druiden’ muss ich doch eingestehen, dass der gleichfalls diesem Klischeebild entsprungene ‘Gesang’ der Mystics ebenso schön wie eindrucksvoll ist.
Mein Problem mit der klassischen Questen-Geschichte (abgesehen davon, dass sie irgendwann einfach langweilig wird) besteht darin, dass ihr ein autoritäres Element innewohnt. Erfreulicherweise ist eben dieses Element in The Dark Crystal auf mancherlei Art abgeschwächt worden.
Der obligatorische alte Mentor stirbt bereits zu Beginn des Films und nicht erst wie sonst üblich (siehe Gandalf & Obiwan) nach dem ersten Drittel der Geschichte. Zwar ist er es, der Jen auf seine Suche schickt, doch steht er danach nicht mehr als allwissende Autorität zur Verfügung. Auch hat er seinem Schützling nichts handlungsrelevantes beigebracht, außer der Fähigkeit zu lesen. Selbst über den eigentlichen Inhalt seiner Bestimmung ist Jen nicht aufgeklärt worden. Er weiß ja nicht einmal, dass der Splitter, den er suchen soll, ein Teil des Dunklen Kristalls ist. Im Kontext der Story macht es wenig Sinn, dass der alte Mystic dem 'Auserwählten' nicht schon viel früher von der Prophezeiung erzählt hat. Doch führt dies dazu, dass unser Held seinen Weg ohne die Hilfe eines Führers und Lehrers finden muss.
Dann ist da natürlich Kira. Sie ist kein typischer Sidekick, sondern eine ebenbürtige Gefährtin. Mehr noch –  Jen wandert anfangs recht verloren und auch wenig selbstmitleidig durch die Landschaft. Kira erweist sich als lebenserfahrener, selbstsicherer und oft auch fähiger als der 'Auserwählte'. Während dieser mit seinem Schicksal hadert, fällt sie Entscheidungen und handelt. Und in einem Film jener Zeit war es keineswegs üblich, dass eine solche Rolle einer weiblichen Figur zufällt. Ein Grund mehr, warum ich diese Szene so liebe:


Auch als sie von den Skeksis gefangengenommen wird, ist Kira nicht dazu verdammt, die Rolle der ‘damsel in distress’ zu spielen. Statt auf ihren Retter zu warten, befreit sie sich selbst. Und zuguterletzt ist es ihr Opfer, dass die Erfüllung der Prophezeiung überhaupt erst möglich macht.
Schließlich enthält The Dark Crystal dankenswerterweise kein ‘Rückkehr-des-Königs’ - Motiv. Jen ist nicht der ‘verborgene Prinz’, der am Ende seinen ihm rechtmäßig zustehenden Thron besteigt, um über die Welt zu herrschen. Im geplanten Sequel, über das seit einigen Jahren Gerüchte im Umlauf sind, sollen wir leider tatsächlich König Jen und Königin Kira vorgesetzt bekommen, aber der Originalfilm enthält nichts, was diesen Fortgang zwingend machen würde. Die erlösten Überwesen sagen zwar am Ende zu Jen: "We leave you the Crystal of Truth. Make your world in its light", doch klingt das in meinen Ohren eher wie ein Aufruf an alle Bewohner von Thra, ihre Welt nunmehr in Freiheit neu aufzubauen.

Die vielleicht am häufigsten zu hörende Kritik an The Dark Crystal betrifft den streckenweise etwas zähen Erzählfluss. Es lässt sich nicht leugnen, dass es der Geschichte mitunter an Stringenz mangelt, ebenso enthält sie einige Ungereimtheiten. Doch das größte Problem liegt meines Erachtens in der Eröffnungssequenz, in der uns die gesamte Vorgeschichte erzählt wird. Als Publikum besitzen wir deshalb für einen Gutteil des Films einen Wissensvorsprung gegenüber Jen und Kira, und es ist nicht besonders spannend zu beobachten, wie unsere Helden Informationen sammeln, über die wir bereits verfügen. Es wäre sehr viel interessanter gewesen, wenn wir gemeinsam mit ihnen die Welt, in der sie leben, erforschen und kennenlernen dürften.

The Dark Crystal ist beileibe kein Meisterwerk, doch er ist ein wirklich sehenswerter ‘klassischer’ Fantasyfilm – und von denen gibt es nicht eben viele.


* Auch wenn’s mich traurig stimmt, aber Brian Froud ist tatsächlich ein Bewunderer Campbells.
** Die Puppenschöpferin, die auch an der Erschaffung von Yoda mitgewirkt hatte, lernte ihren Ehemann Brian bei den Arbeiten an The Dark Crystal kennen.
*** Sorry, ich bin im Moment wohl ein bisschen lucas-fixiert, denn ich habe letzte Woche zum ersten Mal die legendären Plinkett - Star Wars - Reviews gesehen und anschließend den verrückten Versuch unternommen, mir noch einmal Attack of the Clones und Revenge of the Sith reinzuziehen. Allerdings wurde mir dabei sehr schnell klar, dass das nicht meine Art von Masochismus ist.

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